Ikarus Projekt
Das Thema Ikarus beschäftigt mich bereits seit Jahren. Denn ich bin überzeugt, dass dieser antike Mythos viel über den Istzustand unserer Welt und das gebaren der Menschen heute aussagt; ist er doch letztlich Gleichnis für Leichtsinn und Hybris. Ikarus war mit seinen von seinem Vater Daidalos aus Federn und Wachs erbauten Flügeln dem Labyrinth entflohen und, weil der Sonne zu nahe gekommen, brennend ins Meer gestürzt. Heute schlägt das menschliche Wirken im Vertrauen auf die Machbarkeit allen Erdachtens durch schrankenloses Übertreiben und Ausbeuten der Ressourcen in Zerstörung unseres eigenen Fundamentes um.
Als Fortführung meiner bildlichen Verbindung des Historischen mit dem Heutigen muss unser Blick auch auf ein mögliches Morgen schweifen.
An der Stelle müssen wir die (philosophische) Frage zulassen, wie etwaige Metaversen und Künstliche Intelligenz [KI] unsere Sicht auf die Kunst, ja sogar unsere Art der Weltbetrachtung beeinflussen und verändern.
Die große Freiheit der Kunst ist es, Realität und Zukunft völlig neu zu denken, Dinge mutig zusammenzudenken, die bisher so nicht vorstellbar waren und damit Denkhorizonte zu erweitern und Möglichkeitsräume zu öffnen, die die Rezipienten zum Diskurs anregen.
Aber kann KI Kunst?
Was ist dann noch die Bedeutung von realen Welten, was ist der Wert des Raumes, von Schönheit und Inspiration und Kunst?
Wird KI zum Co-Createur von Mensch und Maschine, von Künstler*innen und Künstlicher Intelligenz und läutet so ein neues Zeitalter der Partizipation ein?
Lässt sich schöpferische Kreativität durch Algorithmen einfach so mathematisieren?
Eine endgültige Antwort darauf können wir im Heute wohl noch nicht abschließend geben, aber vieles deutet darauf hin, dass Intuition und künstlerische Schöpferkraft sich nicht wegrationalisieren (ersetzen) lassen.
Kreativität findet schon im Heute wieder mehr Raum im „Wir“, dem Wandel hin zu einer Ökonomie der Freundlichkeit, die gestaltet werden möchte, und weniger im „Ego“, das sich mit all seinem Leichtsinn und Hybris darstellen muss.
Es geht immer weniger um die hektische Suche nach dem ständig Neuen, sondern vielmehr mehr um ein Zulassen des Phantasievollen, Diversen, des Anderen.
Zukunftsgewandte Kreativität dekonstruiert somit Realität und öffnet unseren Blick für alternative Entwürfe von Wirklichkeit und führt uns so auf neuen Wegen in die Zukunft.
In der letzten Konsequenz meines Ikarus Zyklus habe ich dieses Bild durch die KI „DALL-E“ erschaffen lassen.
DALL-E ist ein von OpenAI entwickeltes Computerprogramm, das Bilder auf Basis einer beschreibenden Texteingabe erstellen kann.
Die Texteingabe für diese Arbeit „Ikarus KI“ lautete:
- 3D of a technical robot in a human world and figures of 0 and 1
- abstract interpretation of an ikarus project within the metaverse in a fully digitalized world
- a future world between paradise and hell natural catastrophes
- picture of the year 2050 based on a dystopic world due to natural disasters, digitalization, and an arrogant human being with a wing searching for help, running disoriented through the metaverse
"A"
Ralf Wierzbowski – Eröffnung Eurode-Bahnhof Herzogenrath 15. April 2018
Im Museum Kunstpalast in Düsseldorf hat gerade eine umfangreiche Ausstellung unter dem Titel „Schwarz-Weiß“ begonnen. In ihr sind quer durch die Jahrhunderte ausschließlich Werke versammelt, in denen auf Farbe gänzlich verzichtet wird. Der Aachener Künstler Ralf Wierzbowski würde gut in den Reigen passen, spielen sich seine Arbeiten doch überwiegend im Spektrum zwischen schwarz und weiß ab. „Ich versuch es immer wieder, farbig zu malten – es will mir nicht gelingen“, beteuerte er mir gegenüber. Angesichts der ernsten Themen, die Wierzbowski aufgreift, ist allerdings seine Handhabung nur allzu verständlich. Da geht es um Aggression und Krieg, um Macht der Medien, der Massenmedien und um den alles beherrschenden Markt. Er trägt die Sujets mit vehementer Geste und mit viel Empathie auf großen Tafeln so vor, dass man erschrickt; breite, getränkte Pinselschwünge besetzen Teile der Bildebene, überlassen hingegen andere Partien einem beruhigteren Malduktus als undurchdringliche Flächen. Das Dargestellte selbst bleibt häufig schwer entzifferbar, in einem Zustand des Übergangs, ja, des Allgemeinen. Selbst Hitlers Kopf gerät nicht zum individuellen Porträt, sondern wird gleichnishaft zum Mahnmal des Schrecklichen. Seine Fratze korrespondiert über den großen Abgrund hinweg mit dem Affen, der seinerseits mehr Menschliches als Tierisches an sich hat.
Wie hier sind die Bilder häufig dialektisch aufgebaut, sie beruhen auf Gegensätzen, zwischen denen sich Unergründliches entspinnt. Die - meistens schwarz getönten - Freiflächen in den Bildern, insbesondere der Raum zwischen zwei Gegebenheiten erweisen sich als ganz entscheidend, denn sie ermöglichen erst die Auseinandersetzung zwischen jenen und auch die mit dem Betrachter. Der LeerRaum wirkt einerseits als Atempause, andererseits erzeugt er die Spannung für das, was der Betrachter aus dem Dialog gewinnen kann. Er füllt gewissermaßen mit seinen Gedanken diese Mitte.
Aus der Begegnung von Erinnerung und Ahnung, also zwischen dem Vergangenen und dem Zukünftigen drängt sich das unfassbar Gegenwärtige stets mit aller Macht hervor. Die Kunst Wierzbowskis besteht nun darin, Historisches, also Zitate aus Geschichte und Kunstgeschichte, ebenso wie das noch Unerprobte so vorzutragen, dass man es unumwunden auf das Jetzt beziehen kann. Man fühlt sich durch das Dargestellte geradezu in seiner eigenen Ohnmacht ertappt.
Wenden wir uns dem Querformat „Der Spotter“ zu: Wen blickt denn der vermummte Aufklärer an, uns Betrachter? Wer ist überhaupt diese bedrohliche Gestalt, Feind oder Freund? Jedenfalls scheint er seinen Gegenpol, das liegende Kind ihm zu Füßen, nicht recht zu beachten. Dabei könnte dieses Menschlein die rettende Zukunft bedeuten. Diese heilende Wirkung wird in dieser Inszenierung verlegt, denn der kriegerisch wirkende Aufklärer spioniert in die Weite – dort im Gegenüber geschieht das Hoffnung Versprechende, dort im kleinen Video spielt das Kind gedankenverloren mit Stöcken an glasklarem Wasser: Ein Bild der Unversehrtheit, der Unschuld. Das kindliche, zweckfreie Hantieren mit den Stöcken stellt das Gegenbild dar zu den allgegenwärtigen, zielgerichteten Waffen. Und diese packen im benachbarten Gemälde „America First 1“ geradezu raubtierartig zu. Wie eine übergroße Heuschrecke scheint das Monstrum den Panzer unter ihm zu
tumultartiger Umkehr zu zwingen. Wieder sehen wir die Auseinandersetzung, die Gegensätze, hier jene zwischen dem lastenden Oben und dem leichteren Unten– eine gewagte Komposition, die tatsächlich gelingt. Franciso Goya ist nahe, seine Radierungen „Desastres de la Guerra“ ebenso wie seine erschütternden „Schwarzen Bilder“ - nur erscheint heute alles roboterartig und dadurch noch unmenschlicher.
Die Raum-Inszenierung in den Blick genommen, stellt man also fest, dass sich der Dialog sogar über Bildgrenzen hinweg vollzieht und zudem noch zwischen unterschiedlichen Disziplinen im Raum. Der Künstler arbeitet augenscheinlich mit allen erdenklichen Medien; er malt nicht nur, sondern ist als Bildhauer und Installateur tätig und nutzt sein technisches Knowhow in den Bereichen Video und Film, als Komponist und Musiker. Dabei bedient er sich nicht nur der technischen Möglichkeiten, sondern experimentiert mit ihnen auffallend erfinderisch. So scheinen die Videobilder des spielenden Kindes durch ein bräunliches Papier hindurch und fransen über ihre eigenen Grenzen reizvoll hinaus. Seine irritierende, ein wenig entrückte Atmosphäre gewinnt das Video dadurch, dass es aus rund hundert Einzelfotos zusammengesetzt ist.
Noch aufwändigere Prozeduren gehen natürlich der vierteiligen Videoinstallation schräg gegenüber voraus. Viel von dem heterogenen Bildmaterial hat Wierzbowski im Internet aufgestöbert, ergänzt durch eigene Fotos und den Film einer Wasserszene, für dessen Aufnahmen sogar eine Drohne zum Einsatz kam. Natürlich überfordert der vielschichtige, sich wiederholende Bildersegen aus Porträts, Landschaften, Historie, Trickfilmchen, Einsprengseln aus Mikro- und Makrokosmos den Betrachter - dies ganz im Sinne von Nam June Paik, der als erster die Reizüberflutung der Massenmedien unnachahmlich thematisiert hat. Aber Wierzbowski geht noch weiter: er entlädt in den so harmlos daherkommenden Schnipseln unterschwellig seine Wut und Verzweiflung über die Hilflosigkeit der Politik gegenüber der geld- und machtgierigen Wirtschaft, über die Gleichgültigkeit jedes Einzelnen angesichts der gefährlichen, unüberschaubaren Veränderungen im Globalen. Die verfremdete, rhythmische Gitarrenmusik des Oliver Spanke verstärkt die düstere Stimmung; Wierzbowski fühlte sich durch sie spontan an den Titelsong aus dem Film „High Noon“ erinnert. - Es sei noch angemerkt, dass auch hier wieder Leerstellen für notwendige Atempausen sorgen.
Es überrascht nicht, dass Wierzbowski sich, neugierig wie er ist, bereits in die 3DTechnik vorgewagt hat. Aus Platzgründen kann hier eine wandfüllende Filmprojektion ebenso wenig gezeigt werden wie eine Arbeit mitten im Raum, bei welcher der Betrachter sogar selbst ins Bild steigt. Doch allein schon das Motiv von 3D-Brillen richten den Blick auf dieses spannende Feld, das der Multimediakünstler beschreitet. Die drei neuen „VR_Lichtbilder in Leuchtkästen“ im Nebenraum erzählen von der Flucht in die virtuelle Welt. Die leider ausgesparte Projektion führt ein virtuelles Kriegs-Spiel vor, in dem gewissermaßen die Holzstöcke des Jungen zur Waffe verkommen.
Mit den drei leuchtenden gesichtsverhüllenden bzw. -entstellenden Selbstporträts wird der weit gesteckte Weg der Ausstellung zu Ende geführt. Begonnen hatte er im
Eingangsbereich mit den acht Soldatenbildern. Von hier nach dort spannt sich in künstlerisch-technischer Hinsicht der Bogen von der Mischtechnik auf Beton hin zu multimedialem Verfahren, und er beschreibt auch inhaltlich die Entwicklung vom traditionellen militärischen Gefecht zum virtuellen Krieg mit unabsehbaren Folgen; gerade scheint letzterer wieder in die Welt realer Kriegsspiele gefährlich zurückzuschwappen.
Zum Höhepunkt gesteigert ist das kriegerische Ringen in dem großen hochformatigen Gemälde aus der Serie „Low and Ready“ im Nebenraum. Es ist der Weltenbrand, den ein einsamer Kämpfer auf dem Gipfel des Erdenrunds wohl kaum löschen kann, ja, den er wohl selbst mit verursacht hat. Hier greift Wierzbowski nun mal in den Farbtopf; aber das flammende Rot hellt die Szenerie wahrlich nicht auf sondern steigert das bereits so ernsthafte Schwarz-Weiß noch ins Schmerzliche.
Auch in den beiden anderen großen Leinwänden im zweiten Raum kann Farbe kaum tröstlich wirken. Der lichtblaue Kopf mit seinem versonnenen, seitwärts gerichteten Blick scheint entrückt, der Blick nach innen oder in weite Ferne gerichtet. Und ob der Schwimmer in „Faded“ je das Ufer erreicht, bleibt fraglich. Immerhin schwimmt er ins Lichte, Helle. Aber letztlich ist hier die Urgewalt des Elements Wasser Thema - ganz im Gegensatz zum harmlos dahin plätschernden See im kleinen Video. Sollte etwa dem Jungen allein die Bürde auferlegt sein, ein wenig Hoffnung zu spenden?
Ob vielleicht das große schwungvolle „A“, das der Ausstellung den Titel gibt, Antworten anbietet? Assoziationen mit dem A sind ambivalent, mit dem Buchstaben lassen sich einerseits negative Bedeutungen wie Angst, Apathie oder gar Anarchie und Apokalypse verbinden, andererseits durchaus auch positive Begriffe wie Anfang, Ahnung oder auch Aufbruch. Einem Jeden steht es frei, seine persönliche Interpretation zu finden, dem Künstler Ralf Wierzbowski ebenso wie Ihnen - und damit überlasse ich Ihnen das weite Feld.
Renate Puvogel
Kunsthistorikerin
Melencolia
Zu den jüngsten Werken Ralf Wierzbowskis
Im Blick der Gesellschaft genießen Künstler ihre außergewöhnliche Freiheit als Einsame. Als Schüler einer Akademie sind sie noch in der Gruppe ihrer Kommilitonen in Meisterklassen aufgefangen, in der sie den Wettstreit kennen lernen, Als Autodidakt, als einer, der nicht Künstler werden, sondern einen soliden Brotberuf ergreifen sollte, sind sie doppelt einsam.
Ralf Wierzbowski ist Elektroniker geworden, hat gelernt, virtuelle Räume zu entwerfen, Schautafeln, Leitbilder, in denen er Bewegungen und Kommunikationen organisiert. Er hat ein Defizit an Sinnlichkeit entwickelt und eine folgenreiche Sensibilität. Daraus sind Bildgruppen entstanden:
- Er fand 2011 einen toten, verwesenden Vogel, hob ihn vorsichtig auf, gab ihm einen Platz in seinem Atelier, fotografierte ihn häufig und malte ihn. So fand der Melancholiker der französischen Romantik Charles Baudelaire das Aas einer Hündin und schrieb das berühmte Gedicht „La Charogne“ in den „Blumen des Bösen“ – mit jenem Vers:
„Die Formen schwanden hin,/ wie sie im Traum sonst schwanken,/ Wie ein Entwurf erst und ein Plan,/ auf längst vergessenem Blatt,/ der nur in den Gedanken / des Künstlers sich vollenden kann.“
Die Mischung von abstoßendem Ekel und anziehender Faszination mündet in Schwermut, Weltschmerz und Trauer über die Vergänglichkeit seiner Geliebten – und aller Wesen und Dinge. Das ist eine andere Mischung als jene, die Künstler von Rembrandt bis Nitsch mit Bildern von aufgehängtem, geöffnetem Schlachtvieh zu erzeugen versuchten, in der sich Entsetzen vor blutenden Wunden und orgiastische Lust begegnen.
In der modernen Mediengesellschaft haben sich Empfindungen differenziert, Schönheit, die Begehren erzeugt, und Hässlichkeit, die abstößt, können sich umkehren. Ein Bild wie „Scheißhaufen. Inselbild“ von Diter Rot in der Sammlung Falkenberg steht für eine ästhetische Ambiguität, für Schönheit im Ekel. Anders als der „Scheißhaufen“ zeigt das Bild des toten Vogels gestuell eher den Grad der Erregung des Empfindenden als den Gegenstand der Irritation.
- Die Serie „Fleisch Bar“ besteht aus übermalten Fotografien von Schlachtvieh (Huhn, Schwein, Ochse, Fisch) auf Aluminium. Sie ergänzen als feste, andauernde Bilder einen Film, der in schneller Folge polarisierter – man möchte sagen: entfleischter – Bilder die Verarbeitung und Präsentation der Ware Schlachtvieh vorführt.
Die fröhliche Unbekümmertheit, deren Ausdruck in den Gemälden alter Meister von geschlachteten Tieren überwog, ist einem Unbehagen gewichen, das die Bilder Wierzbowskis nur bestätigen.
Es spiegelt sich in der spontanen, ruppigen Zeichnung und Malerei der Bilder und in dem perfiden violetten Glanz, den ihr metallischer Grund aufscheinen lässt.
- „Die Formen schwanden hin,/ wie sie im Traum sonst schwanken….“ Wie von jenem toten Vogel so hat Wierzbowski auch von einer toten Libelle Hunderte von Fotos gemacht und einer andauernden Bewunderung Ausdruck gegeben - für die zerbrechliche Schönheit ihrer Flügel, für die zartgliedrigen Konstruktionen dieser Flugkörper, ihre Biegsamkeit – und der Trauer um ihr Entgleiten und Entschwinden. Einige hat er für die Öffentlichkeit vergrößert und auf Aluminium aufgezogen, ohne sie zu verändern. Seine Empfindungen fanden hier keinen Feind wie dort in der Fleischindustrie oder im Straßenverkehr. Sein Blick ist nicht auf den Körper des Insektes gerichtet, sondern projiziert die Flügel in den Luftraum zurück, für den sie geschaffen sind. Die Bilder sind heiter und scheuen nicht einen Ausdruck von Eleganz.
- Es wird deutlich, dass Wierzbowski nicht Wesen und Dinge interessieren, die sich in drastischer Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit präsentieren. Übergänge, Veränderungen, Zustandswechsel herrschen in den Bildern, den stehenden wie den fließenden, vor. Ein Junge – hier ein Kind, dort ein Jugendlicher – erscheint und entschwindet in mehreren seiner neuen Bilder wie das Objekt einer Begegnung, die ihn in seine eigene Kindheit zurückführt; und in den Erinnerungen tauchen Konflikte, Verletzungen und ihre Verdrängungen so auf, dass manche der Tafeln wie übermalt erscheinen – Gespensterbilder nennt man solche, aus deren Tiefe mit der Zeit verdrängte Gestalten wieder auftauchen: die Familie in „Save“ (Sparen, aber auch Retten): eine Gruppe von Rückenfiguren wie Graffiti auf einer Schiefertafel; in „Junge mit Schaukel“ der weiße Schatten in einem großen schwarzen Bild, der neben dem Schemen einer Schaukel erscheint; im Film schaukelt das Kind - Schnitt - die Schaukel schwingt leer aus. Man blickt auf diese Szene im Bild durch eine gespannte Transparentfolie wie durch eine regennasse Fensterscheibe. Ein rotes großes X löscht sie aus.
Die Betroffenheit des Betrachters verwandelt sich in Furcht und Abscheu vor der Tafel des heftig ins Bild gesetzten Jungen mit der Pudelmütze, der mit der linken Hand eine Pistole ungeschickt hebt. Im Film läuft er damit durch Wald und Gestrüpp bis in eine Stadtlandschaft hinein, tänzelnd und ziellos um sich schießend (die Tonspur ist terrorisierend), als lebte er Frustrationen in einer richtungslosen Gewaltfantasie aus. Auch er verschwindet plötzlich; der Betrachter des Bildes hält sich lächelnd an dem pinkfarbenen Bommel der Pudelmütze fest.
Dem Jungen mit der Pistole steht das Kind mit dem Stock gegenüber. Auslöser war ein Spiel mit einem Stock am Rheinufer. Der kleine Film löste eine Bearbeitung und ein Bild aus, in dem die kleine Figur in sich versunken ungelenk einen Stock wie einen Golfschläger zu schwingen versucht. Die Geste allein – der linke Arm, der verdrehte Handgriff – ist eine Behauptung, ein Statement gegen die normiert richtige Bewegung nicht anders als die Sprache des Körpers, die ganz in sich selbst gewendet ist. Als Foto würden wir es einen Schnappschuss nennen. Aber kann man einen Schnappschuss malen? Es ist, als suchte Wierzbowski Bewegungen, die nicht sichtbar sind.
- „Wie viel Schatten braucht Hell?“ ist eine senkrechte oder waagerechte Reihe von sieben gleich großen weißen Tafeln, fünf sind in Varianten so schwarz bemalt, als verberge ein schwarzes Tuch ein Gesicht (eine Erinnerung an das Schweißtuch der Veronila), eine trägt eine Totenmaske, und die ist auf das siebenten Bild gerichtet, an deren Rand sich eine Kopfsilhouette als schwarze Linie abzeichnet. Die Totenmaske ist hier das konkreteste Abbild des Menschen, der sich in Übergängen zwischen Erscheinen und Entschwinden bewegt.
Wer das große schwarze Bild „mit den drei Augen“ von der Seite betrachtet, steht vor einer disharmonisch bewegten Landschaft, auf der sich ein großes Fragezeichen auszubreiten scheint. Sie ist wie ein dichter „Vorhang“ über das Bild gebreitet und lässt nur wenige weiße Lichtsplitter durch – darunter jene drei „Augen“, die wie aus einem Purgatorium herausschauen.
Es sind melancholische Motive, die Wierzbowski in seinen Arbeiten der letzten zwei Jahre bearbeitet: der verwesende Vogel, die tote Libelle, Fleisch Bar, das Kind und der Junge, die sich mit Erinnerungen mischen, Entrücken und Tod.
Sie entsprechen den Selbstdarstellungen in seiner Webseite: das halbe Gesicht, der Mann „zwischen Tür und Angel“. Ralf Wierzbowski ist 1964 geboren, seit 1988 Künstler und hat seit 1989 an zahlreichen Ausstellungen mitgewirkt. Er ist auch Maler und Zeichner, Fotograf und Videograf, Komponist, Objekt- und Installationskünstler. Er malt spontan und expressiv, überwiegend schwarz auf weißem Grund, er übermalt Fotos auf Aluminium und erarbeitet hybride, polarisierte Videobilder. Er versucht, feste und fließende Bilder in gestalteten Environments so zusammen zu binden, dass sie gleichwertig wahrgenommen werden, und experimentiert ebenso mit Beamern, digitalen Bilderrahmen und Requisiten, um Szenen aufzubauen, die starke Empfindungen auslösen.
Die „Schwarze Galle“, die Melancholie ist ein starkes Fundament künstlerischer Arbeit. Nicht nur Baudelaire und Michelangelo waren Melancholiker, Dürer hat die „Melencolia“ in einer berühmten Allegorie mit etlichen bis heute ungelösten Rätseln ausgerüstet. Ralf Wierzbowski ist in guter Gesellschaft.
Wolfgang Becker
Kunsthistoriker, Gründungsdirektor Ludwig Forum Aachen
Ralf Wierzbowski
geboren 1964 in Aachen | künstlerisch tätig seit 1987
2024
AI.Art-Symbiose oder Kontrast, Atelierhaus Aachen e.V. (Depot), Aachen
2022
GROUND CONTROL, Privat-Museum, m&n private collection, Aachen
2022
"Ausnahmezeiten.Ein Virus übernimmt den Alltag"
Museum Centre Charlemagne, Aachen
2022
Icarus Project Ralf Wierzbowski, Stratify Thomas Woll
Galerie vorn und oben, Eupen Ostbelgien
2019
ULTIMATE NoW
ULTIMATE.NOW is an art project by the artist Ralf Wierzbowski and LATER IS NOW
2018
GRAFIK, Atelierhaus Aachen e.V. (Depot), Aachen
2018
"A", Eurode Bahnhof, Forum für Kunst und Kultur, Herzogenrath
2017
Crossing Borders, Ulf Hegewald Ralf Wierzbowski, Quatier Geleen, Geleen Niederlande
2017
Kunstroute Weser- Göhl, Maison Pütz, Montzen Belgien
2016
Viecher und wir,Gruppe Zweifellos, TUFA Kultur- und Kommunikationszentrum, Trier
2016
Marlies Seeliger-Crumbiegel Kunstpreis
2016
Helden,Brele Scholz & Ralf Wierzbowski, Produzentengallerie Kunstwechsel, Aachen
2015
Kunstquelle Aachen, Galerie 45, Aachen
2014
Viecher und wir, Gruppe Zweifellos, Petrikirche, Mühlheim an der Ruhr
2014
neogene “Brainville”, CD cover & booklet
2014
Carte Blanche VI, 28 Künstler-Positionen zum Thema “Schutzraum”
Baukunstwerk St. Fronleichnam, Aachen
2014
GRO?RAUM, Bernd Radke & Ralf Wierzbowski, Produzentengalerie Kunstwechsel, Aachen
2013
AHHA, “Die Heißen Quellen Aachens”,
Kurator: Wolfgang Becker, Aachen
2013
Arbeiten 2011-2013, projektartgalerie, Bielefeld
2012
Losigkeit, die3,Bernd Radke, Michael Dohle, Ralf Wierzbowski, Atelierausstellung, Aachen
2012
transfer, Galerie Artco, Herzogenrath
2012
CARTE BLANCHE V, 14 KUNSTDIALOG-STATIONEN Baukunstwerk St. Fronleichnam, Aachen
2011
Kunstroute Eurode, Baalsbruggermolen, Kerkrade
2011
Kulturwerk Aachen, nature morte
2010
Kunstroute Eurode, Botanischer Garten, Kerkrade
2010
Grünenthal, Aachen, Begegnung – Fotografie trifft Malerei
2006
Projektbezogene Mitarbeit im Unternehmen Dohmen, Herzog & Partner, Aachen
2004
Management Coaching, Praxis Nyssen, Aachen
2001
Arcadia, Köln
2001
Auftragsarbeit für Parkhotel Ostfildern, Stuttgart
2000
Euro Welt: Europa malt für krebskranke Kinder
Dresdner Bank AG, Aachen, Köln, Frankfurt Kulturmeile
1999
Elisabethhalle, Aachen
1999
Pegasus Aachen, Wenn der Himmel die Erde berührt
1995
Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen, Hilfe für Tuzla
1995
Arbeiten am Zyklus Seelenlandschaften
1995
Zusammenarbeit mit CreaTV, Hans Meiser, Köln und Bärbel Schäfer, Köln
1993
Galerie Leuchter & Pelzer, Düsseldorf
1991
NAK, Neuer Aachener Kunstverein, die anderen 10
1991
Art Expo, Tokio
1990
Galerie 33, Aachen
1989
Galerie Niagara, Düsseldorf
1989
Art Expo, New York
1988
Galerie 33, Aachen und Mönchengladbach